Entwicklungsfeld Lehrerolle - Haltung, Haltung, Haltung (Teil 3/5)

 

 "Entwicklung ist eine Tür, die sich nur von innen öffnen lässt" (Rolff 2015 gefunden bei Twitter).

 

Lehrerinnen und Lehrer dürfen (und MÜSSEN) aktive Gestalter sein. Ausprobieren – Entdecken – Fehler machen – Verwerfen – Experimentieren – Reflektieren – Vernetzen. 

 

Diese Schritte müssen wir gehen, um uns, Schule und den eigenen Unterricht weiter zu entwickeln und neu zu definieren. Ähnlich wie im Entwicklungsfeld Unterricht sind Veränderungen unmittelbar durch eigene Verhaltensänderungen möglich und weniger von äußeren Verhältnissen abhängig. Dennoch können wir uns von den Rahmenbedingungen und Pflichten (Klausuren, Abschlussarbeiten, Notengebung etc.) nicht komplett frei machen, da diese systemischen Zwänge sich natürlich  auf unser Handeln auswirken. Dennoch bleiben uns genügend Freiräume sowohl in unserem eigenen Handeln und Denken, als auch in unserem beruflichen Selbstkonzept. Schulentwicklung steht und fällt mit den drei H: Haltung, Haltung und Haltung. Wir Lehrerinnen und Lehrer sind Veränderungsagenten. Veränderung beginnt bei uns selbst.

Die Haltung gegenüber meinen Lernenden liegt in diesem Grundverständnis: Ich glaube, dass jeder Mensch einzigartig ist und möchte daher jedes Kind individuell in der Entfaltung seines Potenzials unterstützen. Es geht neben aller Sachlichkeit um den Erwerb von Schlüsselkompetenzen und um eine Werteerziehung. Vier Kompetenzen bilden daher wichtige Bausteine an unserer Schule und unterstützen die vier fachlichen Perspektiven. Die Haltungen sollen dabei wie Satelliten in der Umlaufbahn unserer Schulkultur kreisen.

 

Im dritten Teil dieser Beitragsreihe soll es nun darum gehen, wie wir den Kernproblemen aus dem ersten Beitrag im Entwicklungsfeld 'Lehrerrolle' begegnen und so den Wandel von innen heraus gestalten können. 

 

Du hast die ersten beiden Beiträge verpasst? Nicht schlimm - hier im Schnelldurchlauf:

Lernbegleitung und Feedback

Die in Teil 2/5  angestrebte Veränderung der Lernkultur an der Oberschule Berenbostel erfordert eine enge Begleitung und Unterstützung durch uns. Insbesondere die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf brauchen hier verlässliche Strukturen.  Daher werden wir trotz Auflösung der standardisierten Fächerstruktur am Prinzip der Klassengemeinschaft/Stammgruppe festhalten. Jeder Tag und jede Woche beginnt mit einer festen Stammgruppenzeit. Hier geht es um Gemeinschaftszeit, Achtsamkeitsrituale, Gespräche und die Planung von Wochenzielen. Jede Woche endet ebenfalls in dieser Gruppe. So bieten wir einen verlässlichen Rahmen für das eigenständige Lernen und Arbeiten. 

 

Die Hauptarbeit bei der konkreten Planung einzelner THEO's liegt in der sorgfältigen Planung und der Vorbereitung der Lernumgebung. In diesem Fall mussten wir im Vorfeld Sorge tragen, entsprechende Zugänge durch die Bereitstellung von Materialien und Ressourcen zu gewährleisten. 

 

In den Lernzeiten fungieren wir Lehrkräfte in erster Linie als Koordinator, Coach und Begleiter von Lern- und Arbeitsprozessen. Als wichtigen Baustein führen wir daher den wöchentlich stattfinden Lernentwicklungsaustausch (LEA) ein. Hier können wir uns einzelnen Schüler*innen zuwenden und gemeinsam den Lernprozess planen und reflektieren. Mögliche Leitfragen können sein:

  • Was möchte ich diese Woche erreichen?
  • Was möchte ich machen, um mein Ziel zu erreichen?
  • Wann habe ich mein Ziel erreicht?
  • Wo könnten Schwierigkeiten auftreten? Wie kann ich diese lösen?
  • Welche Ressourcen brauche ich für mein weiteres Lernen?

Feedback ist auch hier immens wichtig. Genauso wie die Ermittlung von Lernständen. Dabei ist zwischen "Summative Assessment" (Standard: Klassenarbeit) und "Formative Assessment" zu unterscheiden. Bei der formativen Evaluation werden Lernfortschritte ermittelt, die Lehrende in ihre weiteren Unterrichtsplanungen einbeziehen. Diese formative Beurteilung/Rückmeldung ist prozessbegleitend und zielt auf die Verbesserung des Lernens ab. Genau darum geht es. Während sich Feedback an Schule üblicherweise auf die Aufgabe richtet (Wie gut wurden die Aufgaben erledigt und verstanden?), soll bei uns vor allem der Prozess (Was muss getan werden, um die Aufgabe zu verstehen oder zu meistern?) und Selbstregulation (Was kann der Lernende tun, um sein Lernen selbst zu lenken und produktiv zu gestalten?) im Mittelpunkt stehen. 

 

In der neuen Rolle, die wir Lehrer*innen im Lernprozess der Schüler*innen einnehmen, finden sich viele Perspektiven und Auffassungen der Montessori-Padagogik wieder. Um die Rolle der Lehrperson nach Montessori näher zu betrachten, konnte ich für einen kurzen Exkurs Julia Thurner (https://montessorifuture.de) gewinnen. Julia arbeitet als Fremdsprachenlehrkraft für Englisch und Spanisch an einer Montessori Grund- und Mittelschule in Bayern.

 

Die Lehrperson nach Montessori

Gastbeitrag von Julia Thurner

 Maria Montessori rückte das Kind zu einer Zeit in den Mittelpunkt, in der die Beziehung zwischen Kind und Erwachsenen in allen Lebensbereichen von einer stark autoritär geprägten Struktur belastet war. Das Kind übernimmt bei Montessori die Hauptrolle im eigenen Entwicklungs- und Bildungsprozess, jedoch in einer an seine Bedürfnisse angepassten Umgebung, die ihm den Weg zur Selbständigkeit aufzeigt.

 

Bezogen auf den Bereich Schule, sollte die Lehrkraft in den Hintergrund rücken und ihre Machtansprüche zurückstellen. Diese Forderung wurde und wird nach wie vor falsch interpretiert und es wird die Annahme getroffen, dass die Lehrkraft in Passivität verfällt und dem Kind jedmögliche Freiheit gewährt. Die Richtung wird und muss weiterhin von den Pädagoginnen vorgegeben werden, jedoch abgestimmt auf die individuellen Bedürfnisse der SchülerInnen.

Maria Montessori beschrieb die neue Aufgabe der Lehrkraft wie folgt:

„Ihre Mitarbeit ist keineswegs ausgeschaltet, doch sie wird vorsichtig, feinfühlig und vielfältig. [..] es bedarf einer Weisheit, die dem einzelnen Fall oder den Bedürfnissen entsprechend, umsichtig ist bei der Beobachtung, beim Dienen, beim Herbeieilen oder beim sich Zurückziehen, beim Sprechen oder Schweigen.“ (Montessori, 2010, Die Entdeckung des Kindes)

 

Um dieser anspruchsvollen Aufgabe gerecht werden zu können, erwartete Maria Montessori ein hohes Maß an Reflektionsfähigkeit der PädagogInnen, diese sei von essenzieller Bedeutung im Erkennen, im Umgang und bei der Korrektur eigener Fehler - denn niemand ist frei von Schwächen. Es ist wichtig, sich von gängigen Vorurteilen und eingeschliffenen Mustern zu lösen. Deshalb forderte Montessori schon damals eine professionelle Unterstützung der Lehrkräfte, die sich heutzutage in Form von Supervisionen und Lerncoachings etabliert hat.

 

Neben der Haltung, gehört zu einer umfassenden Vorbereitung der Lehrkraft auch ein hohes Maß an Kenntnis des Montessori-Materials. Es ist aber nicht ausreichend, dieses zu kennen und nach Anleitung vorzustellen, sondern es wird eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem verlangt, um die Kinder begeistern, aktivieren und unterstützen zu können.

 

Hier lässt sich die Brücke zu den Anforderungen an die Lehrkraft im Bezug auf die Digitalität schlagen. Es ist eben nicht ausreichend, eine Fülle an Tools und digitalen Medien zu kennen, sondern es muss mit diesen eine intensive Beschäftigung und Zuwendung stattfinden, damit die SchülerInnen entsprechend angeregt, begleitet und zum selbständigen Arbeiten mit diesen befähigt werden. Diese Kenntnisse können die SchülerInnen dann in der weiteren Arbeit anwenden und sich eigenständig neue Themenfelder erschließen.

 

Abschließend hier noch eine kleine Übersicht der Aufgaben einer Lehrkraft nach Montessori, damit sie die Entwicklung der SchülerInnen adäquat unterstützen kann: 

  • Die Kinder beobachten.
  • Verhaltensweisen interpretieren.
  • Leistung beurteilen.
  • Offenes, pädagogisches Leistungsverständnis besitzen.
  • Prozessorientiert: Fehler als Helfer sehen.
  • Fehlerkultur- und -analyse: Fehler als festen und berechtigten Bestandteil des
  • Lernprozesses anerkennen.
  • Leistungsrückmeldung: Individuell und wertschätzend geben.
  • Bewerten: Ohne Noten, verschiedenen Situationen gerecht werden.
  • Kommunikation: Rückmeldung muss nachvollziehbar und verständlich sein.
  • Die Freiarbeit vor- und nachbereiten.
  •  Die vorbereitete Umgebung (Raum, Material) gestalten, ordnen und pflegen. - Freiheit gewähren und Unabhängigkeit ermöglichen.
  • Die Kinder anregen und anleiten.
  • Halt geben und lenken.

Teamplayer und Innovation

Diese von Julia skizzierten  Einstellungen bzw. Haltungen sind Grundvoraussetzung für eine neue Definition der Rolle von Erwachsenen im Lernsetting. Darüberhinaus sind für eine echte Schule im Wandel Teamfähigkeit und Innovationsgeist zwei weitere Fähigkeiten, um echte Veränderungen zu erreichen. 

 

Wie gelangt Innovation ins Kollegium? Wie kann Unterrichtsentwicklung im eigenen Kollegium vorangebracht werden? Wie gelangen Impulse und Innovation in den Unterrichtsalltag?  Ein möglicher Weg können sog. Mikrofortbildungen sein. Zu diesem Aspekt schreibe ich im Teil 5/5 etwas mehr. Genau so wichtig ist neben der Rolle der Schulleitung (Teil 4/5), ein eigenes persönliches Lernnetzwerk. Lehrpersonen dürfen nicht länger Einzelkämpfer sein, sondern sollten sich an ihrer Schule (Jahrgangsteams) und im Internet vernetzen. Um mit einer Schule im Wandel und zeitgemäßen Unterricht Ernst zu machen, können und dürfen sich Lehrpersonen nicht (länger) als Einzelkämpfer und Alleinunterhalter verstehen.

 

Das Twitterlehrerzimmer  ist für mich z.B. zu einem nicht mehr wegzudenkenden Teil meines persönlichen Lern-Netzwerks (mehr zum PLN findet ihr hier) geworden und ich habe die Wirkung eines PLN für mich so zusammengefasst: Die Vernetzung von Lehrkräften und die Verbreitung von Ressourcen und Inspirationen führen zur Veränderung von Unterricht und ermöglichen die Verbesserung von Schule zu Gunsten einer zeitgemäßen Bildung (Die 4V).

 

 

Bei Twitter, aber auch in anderen sozialen Netzwerken wie Instagram, finden sich umfangreiche Best-Practice-Beispiele, Inspirationen und vielfältige Kommunikationsanlässe, um über Schule und Bildung ins Gespräch zu kommen. Zahlreiche Bildungsblogs - die es viel länger gibt als diesen hier! - beleuchten die vielfältigsten Themen. Diese Ressourcen nicht zu nutzen, ist im Grunde fahrlässig, da man als Schule oder Lehrerteam im eigenen Fahrwasser stecken bleibt. Innovative Ansätze und das Verlassen der Komfortzone sollten wichtige Kriterien guten Unterrichts sein. 

 

"Ein System kann nur sehen, was es sehen kann, es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann. Es kann auch nicht sehen, dass es nicht sehen kann, was es nicht sehen kann." (Niklas Luhmann)

 

Ausblick

Ob also ein realistischer Wandel von Schule innerhalb des Systems Schule machbar ist, liegt auch an der Bewusstheit der Beteiligten um dieses Paradoxon. Nicht die Einführung von Tabletklassen ist das Ziel, es kann höchstens ein Teilschritt sein. Die Entwicklungsfelder Unterricht und Lehrerolle gehen Hand in Hand und werden durch Schulleitung und Schulorganisation verstärkt. Darum geht es im vierten Teil.