Schachgedanken

Auf der Jahrestagung 2018 „Digitalisierung – Digitalität – Fachlichkeit. Gegenwart und Zukunft des Lernens im Deutschunterricht“ in München haben sich die Axel Krommer (Erlangen) und Philippe Wampfler (Zürich) im Gedankenschach duelliert. Einen Audiomitschnitt dieses interessanten Formats findet sich hier. Die Partie stand unter der Überschrift: „Von der Bratkartoffel-App zum SAMR-Modell: Fördern digitale Tools fachliche Kompetenzen im Deutschunterricht?“ Die Redezeit war auf jeweils 15 Minuten beschränkt und beide Parteien waren so zu kurzweiligen und prägnanten Redebeiträgen und Thesen gezwungen. Die gelungene Umsetzung lag vor allem an den kompetenten und sympathischen Protagonisten. Danke dafür. In vielen Argumenten habe ich mich wiedergefunden. Einige angesprochene Aspekte möchte ich hier noch einmal aufgreifen. 

 

Zur Kritik an Kahoot!

Anwendungen wie Learning Apps und Kahoot erschöpfen nicht ihr didaktisches Potenzial wenn sie von der Lehrperson erstellt werden, sondern sind Teil von Wissensverarbeitung und Aufbereitung (in Kooperation mit Mitschülern) in der Hand der Schüler*innen. Sie bieten didaktisches Potenzial also eher in der produktiven Phase des Unterrichts und nicht in der rezeptiven (konsumierenden) Anwendung. Hier geht es z.B. um den Prozess der Quizerstellung und nicht um das eigentliche Spiel (KmK: Kompetenzen in der digitalen Welt Kompetenzbereich 3 Produzieren und Präsentieren). Wampfler hat dazu ganz aktuell einen tiefergehenden Beitrag über Kahoot und Quiz-Didaktik im Allgemeinen verfasst, der mehrere praktische Einsatzszenarien aufzeigt. Hierbei geht es primär um die Frage nach unterschiedlichen didaktischen Schwerpunkten.

 

Zu "Je weniger die Entwickler vorhersehen können, was mit einer App gemacht werden kann, desto besser ist die ist Anwendung"

Als Beispiel führt Krommer die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten von Explain Everything an. Das von ihm vorgeschlagene Szenario ist für mich allerdings nicht die Spitze der Innovation. Explain Everything ist letztlich ein interaktives Whiteboard im Taschenformat und ersetzt erstmal die Tafel oder das Heft. Die Tonspur eines Videos auszublenden ist dann das Äquivalent zu den Comics mit leeren Sprechblasen aus meiner eigenen Schulzeit. Jetzt eben mit bewegten Bildern. Bekräftigen möchte ich aber explizit Krommers Sichtweise, Apps nicht als Lerngegenstand sondern als Lernmittel zu begreifen. Hierfür bieten dann offene Appformate (z.B. Padlet) sicherlich mehr Möglichkeiten als Kahoot.

 

Zu Just do it und Agilität

Egal ob Kahoot, Explain Everything oder Socrative: Entscheidend bleibt weiterhin die didaktische Einbettung und die reflexive Auseinandersetzung. Hier also: Der Einsatz von Explain Everything ist per Se weder gut noch schlecht (in Anlehnung an Hilbert Meyer). Keine Lehrkraft würde ernsthaft jede Stunde mit Kahoot arbeiten oder die Lernenden das ganze Schuljahr mit Explain Everything drangsalieren. Um bei Hilbert Meyer zu bleiben: "Mischwald ist besser als Monokultur". In dieser wiederum trivialen Aussage steckt doch das eigentlich Potenzial der digitalen Didaktik. In einem agilen Unterrichtssetting sind die Schüler*innen irgendwann befähigt selbst zu entscheiden ob sich für ihren Lernprozess eher ein Kahoot, ein Padlet oder ein Erklärvideo eignet. Das Ganze hätte dann vielmehr den Charakter einer digitalen Lerntheke, jedoch nicht (zwangsweise) bezogen auf die Aufgabenstellung, sondern auf die Wahl des Lernmittels. Genauso setze ich die Anwendungen in der Lehrerausbildung ein. Die Referandare entscheiden (im Idealfall) selbst wie sie sich der Thematik nähern und welches digitale Tool sich zur Bearbeitung bzw. zur Präsentation eignet oder eben nicht eignet. Dies führt zu Wampflers aufgestellten didaktischen Kriterium: Agiler Unterricht bedeutet, dass ich als Lehrperson nicht bzw. schlecht voraussehen kann wie sich Unterrichtstunde entwickelt.

 

Zu SAMR und 4K

Nicht vergessen dürfen wir dabei die Kollegen*innen, die ihre erste Schritte im digitalen Kontext gehen. Es sind eben erste Schritte (4 Augen-Modell). Die Maus geht vorsichtige Schritte (Substitution) und darf dabei gerne mit Kahoot beginnen. Hier möchte ich ausdrücklich Wampflers These unterstützen: "Der Einsatz digitaler Medien im Unterricht ist per Se gut". Zeugt es doch von Motivation und Bereitschaft der Lehrkraft sich mit digitalen Medien zu beschäftigen und auseinanderzusetzen.

Die ausschließliche Verknüpfung von Unterrichtsmodellen an SAMR ist dabei dauerhaft wenig förderlich. (Hinweis von Krommer: Buch und Schrift sind auch Technologien). Wird doch suggeriert Szenarien im Bereich von M und R seien besser als die unteren Stufen und Lehrkräfte müssten sich für einen App-Einsatz rechfertigen. So habe ich meinen Fokus in der Zusatzqualifikation im Studienseminar vom SAMR zum 4K-Modell verschoben und die Referendare haben ihre Unterrichtsvorhaben mit den 21st Century-Skills in Verbindung gebracht.

 

Im Sinne der 4K wäre insbesondere auch unter Lehrenden zwingend Vernetzung und Austausch gefragt: Gemeinsame Planung von „digitalen“ Unterrichtseinheiten könnten z.B. den Einstieg erleichtern und zu gemeinsamen Reflexionen zu Weiterentwicklung führen. Die 21st Century-Skills müssen nicht den Anspruch haben, sofort und jetzt im Prüfungsformat abgebildet zu werden. Es beginnt im Unterricht. Der Druck (Bottum-Up) auf die Prüfungsformate wird sich durch die veränderten Lernformen von selbst erhöhen. (So die Hoffnung.)

 

Zur Lehrerausbildung

Zum Thema Lehrerausbildung stellt Krommer fest: "Erfahrene Lehrer*innen planen den Unterricht nicht mit Entwürfen."

Es ist m.E. ein Irrtum zu glauben, es ginge um den Entwurf als solches. Es ist keine isolierte Teilleistung in Form einer schriftlichen Ausarbeitung. Der Entwurf ist die Niederschrift der eigenen Planungsgedanken. Die angesprochene Erfahrung basiert dabei auf der Planung von Unterricht, dem Abgleich in der Praxis und der anschließenden Reflexion. Nichts Anderes ist Schwerpunkt der Lehrerausaubildung. Der Entwurf hat dabei eine dienende Funktion. Er dient der unterrichtenden Lehrperson. Nicht dem Leser. Daher geht es nicht um Entwurf-Exegese durch Fachleiter*innen, sondern darum einen Einblick in die Planung des Unterrichtenden zu erhalten. Agilität ist dabei nicht ausgeschlossen. Diese didaktische Überlegung gehört dann in den Entwurf. Es geht auch in diesem Kontext um die geforderte Verknüpfung von Fachdidaktik, Lerngegenstand und Passung zur Lerngruppe. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin selbst kein großer Fan davon Unterrichtsentwürfe (wie manche KuK) bis ins kleinste Detail zu sezieren und sicherlich gibt es hier und dort auch Veränderungspotenziale. Für denjenigen, der punktuell hospitiert bietet der Entwurf jedoch die einzige Möglichkeiten die Planung von Unterricht genauer zu analysieren und in den Austausch zu kommen.

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Axel Krommer (Donnerstag, 19 Juli 2018 12:48)

    Danke für diesen Beitrag. Diese Gedankenschach-Partie war ja eine gewollte Zuspitzung und durch den Zeitrahmen auch in der argumentativen Tiefe äußerst beschränkt. Daher ist es gut, wenn solche Texte eine "Verlängerung" der Diskussion anbieten.

    @Kahoot & Co.:

    Ich glaube, dass es ein Fehlschluss ist, anzunehmen, ein problematisches X werde dadurch didaktisch legitimiert, dass man Schüler(innen) auffordert, X selbst zu produzieren. Wenn Schüler(innen) z.B. ein Kahoot selbst entwickeln (und dabei auch die unvermeidlichen 4K gefördert werden), zählt der Prozess, nicht Kahoot als Ergebnis. Die Kompetenzen, die man beim Kahoot-Erstellen fördern kann, könnte man jedoch auch mit anderen Methoden bzw. an anderen Gegenständen fördern, so dass dann auch das Ergebnis didaktisch akzeptabel wäre. Oder anders: Wenn man Kahoots von Schüler(inne)n erstellen lässt, geht es gar nicht um Kahoot. Fazit: Kahoot ist entweder didaktisch fragwürdig (bestenfalls ein digitaler Motivationshering) oder überflüssig.

  • #2

    Christian Mayr (Freitag, 20 Juli 2018 13:52)

    1) Zu Herrn Krommers Kommentar zu Kahoot:
    "Oder anders: Wenn man Kahoots von Schüler(inne)n erstellen lässt, geht es gar nicht um Kahoot."

    Da haben Sie den Kern von Jans Aussage zu Kahoot wunderbar getroffen, ziehen in meinen Augen nur ein völlig falsches Fazit. Natürlich geht es beim Erstellen von Kahoot durch SuS nicht um Kahoot als Kahoot (nicht um eine LearningApp als LearningApp, oder H5P Lückentext oder oder oder), sondern um den Denkprozess, den die SuS beim Erstellen durchlaufen. Dabei wiederholen sie zuvor gelernte Inhalte, reflektieren und grenzen auch ab, indem sie nach möglichst nicht sofort ersichtlichlichen Falsch-Antworten suchen. Das alles sind wichtige Aspekte im (fachlichen) Lernprozess zu fachlichen und im Lehrplan verankerten Inhalten. Und wenn am Ende dabei ein Kahoot rauskommt, das die Klasse die letzten 3 Minuten der Stunde noch spielen kann und dabei gerne auch ein wenig Spaß und Aufregung hat als Belohnung für das zuvor konzentrierte Arbeiten, dann kann ich damit als Lehrkraft wunderbar leben.


    2) Zu Just do it und Herrn Krommers Nike-Didaktik
    Ich verstehe beim besten Willen nicht, wieso man Herrn Krommers ständig wiederholte Aussage, Lehrkräfte "würden einfach machen", an so vielen Stellen einfach so unkommentiert im Raum stehen lässt. Denn damit wird doch völlig außer Acht gelassen, dass sich die Lehrkräfte vermutlich viele Gedanken zum Einsatz von X und Y gemacht haben, X und Y ganz bewusst in gezielten Stellen ihres Unterrichts einsetzen und bei dieser Entscheidung auf ein breites Fundament zurückgreifen: nämlich ihre Kenntnisse über die Lerngruppe, ihre Berufserfahrung, die zuvor und anschließend gehaltenen Unterrichtssequenzen und den darin geplanten Medien- und Methodeneinsatz, ihre Ausbildung im Referendariat und vielleicht sogar - und deren Wert wird Herr Krommer als Deutsch-Didaktiker ja kaum in Frage stellen - ihre fachdidaktischen Kenntnisse, die sie im mindestens vierjährigen Hochschulstudium erworben haben.
    Wenn ich (ganz persönlich) mir einen Haufen Bretter kaufe und daraus eine Gartenhütte zu basteln versuche ohne Ahnung von irgendwas, dann "mache ich einfach mal". Bei der Planung meines Unterrichts und der Berücksichtigung von damit verbundenen Methoden, Medien und Werkzeugen bin ich selbst bewusst genug zu behaupten, dass das alles andere als just mal so passiert.

  • #3

    Axel Krommer (Freitag, 20 Juli 2018 14:06)

    @Christian Mayr:

    Jetzt verstehe ich etwas besser, warum wir uns dauernd missverstehen.

    1. Ich bin nicht der, der ständig behauptet, Lehrer(innen) würden "einfach machen". Ich habe nur darauf reagiert, dass dieser Grundsatz z.B. bei Twitter ständig wiederholt wird.

    2. Meine Sichtweise auf "Einfach machen!" ist mitnichten so abwertend, wie mir das unterstellt wird. Im Gegenteil: Das was Du im zweiten Teil des Postings über die Gedanken, die sich Lehrer(innen) machen, schreibst, steht hier: https://axelkrommer.com/2018/05/14/die-nike-didaktik-oder-warum-man-auf-den-paedagogischen-grundsatz-einfach-machen-verzichten-kann/ in ähnlicher Weise.

    Meine Vermutung: Wie man meine Thesen einschätzt und bewertet, hängt auch davon ab, wie man mich als Person einschätzt. Da wir uns persönlich nicht kennen, liegt - so glaube ich - hier (und nicht auf der Sachebene) das eigentliche Problem.

  • #4

    Axel Krommer (Montag, 23 Juli 2018 13:24)

    Zwei kurze Nachsätze:

    1. Zu Explain Everything:

    Die Aussage

    "Explain Everything ist letztlich ein interaktives Whiteboard im Taschenformat und ersetzt erstmal die Tafel oder das Heft. Die Tonspur eines Videos auszublenden ist dann das Äquivalent zu den Comics mit leeren Sprechblasen aus meiner eigenen Schulzeit. Jetzt eben mit bewegten Bildern. "

    hat die "Ein X ist in Wahrheit nichts anders als Y, nur mit dem und dem Unterschied"-Struktur, die fast immer falsch ist. Beispiele: E-Mails sind wie Briefe, nur elektronisch verschickt, Chats sind wie Gespräche, nur getippt, MUDs sind wie normale Rollenspiele, nur online, Videos synchronisieren ist wie Comic-Sprechblasen füllen, nur mit Bewegtbildern und Ton etc.

    Aus dieser Perspektive wird gerade die Wirkung der medialen Form als Form komplett ausgeblendet. Denn es ist auf mehreren Ebenen ein riesiger Unterschied, ob man E-Mails oder Briefe schreibt, online chattet oder f2f plaudert etc. Und auch Comic-Sprechblasen kleben ist auf diese Weise nicht vergleichbar mit der Synchronisation eines Videos.

    2. Zu Entwürfen:

    (Die These kam in der Gedankenschach-Partie von Philippe) Meine Position: Entwürfe sind in der Praxis zumeist nur ein Kontrollinstrument der Prüfer, das die Gefahr nährt, entwurfs- und nicht mehr schülerorientiert zu arbeiten. In Bayern müssen schon Praktikanten manchmal genau wissen, was Björn-Kevin in Minute 15 auf Lehrerfrage 22 antwortet. Das ist völlig absurd.

  • #5

    Jan Vedder (Montag, 23 Juli 2018 15:30)

    Zu EE: Mir ging es in erster Linie darum deutlich zu machen, dass EE meist als solches (digitales Whiteboard) genutzt wird. Klar ist das didaktische Potenzial für mehr vorhanden. Das Synchro-Funktion-Beispiel ist also ganz nett :-)

    Zu den Entwürfen: Die Praktikanten der Uni werden teilweise hart gequält und die Ansprüche seites den Uni sind da alltagsfern und überzogen/"absurd" (abhängig von Einzelpersonen). 100% Zustimmung. Das erlebe ich am Seminar nicht so bzw. weniger.

  • #6

    Walter Böhme (Dienstag, 24 Juli 2018 14:37)

    Ich habe deinen Blog in den Artikel "Lehrerblogs" im ZUM-Wiki aufgenommen. (https://wiki.zum.de/wiki/Lehrerblogs#2017)
    Falls dir das nicht recht ist, teil mir das bitte hier (https://wiki.zum.de/wiki/Benutzer_Diskussion:Fontane44) mit, damit ich den Eintrag dort lösche.