Kompetenzorientierte Lehrerausbildung

Nach nun mehr als fast 10 Jahren Arbeit am Studienseminar stelle ich fest, dass ich im Grunde auch themengleiche Seminarsitzungen immer wieder anders und neu gestalte. Wesentliches Prinzip ist dabei die (deutliche) Reduktion von Frontalität und Input zu Gunsten praktischer SeminarARBEIT: Mehr Workshop-Charakter als Berieselung lautet die Devise. Seit 2016 rückt vor allem die immanente Arbeit mit digitalen Medien in den Mittelpunkt meiner bzw. unserer Arbeitsweise. Mehr als zuvor arbeite ich mit Quellen (z.B. Blogbeiträgen) aus dem Internet. Auseinandersetzung mit Fachliteratur ist den angehenden Lehrerinnen und Lehrern bereits aus der Universität bekannt. Genauso wie gängige Präsentationsformen: Powerpoint und Referat.

 

Im zweiten Teil der Lehrerausbildung am Seminar geht es nun vorrangig um die Verknüpfung von Theorie mit tatsächlich erlebter Praxis in der Schule. Es sollen also für "möglichst viele antizipierbare Situationen Handlungskompetenzen vermittelt werden" (Schwenk/Klier/Spanger: Kasuistik in der Lehrerbildung). Den in der Ausbildungsverordnung in Niedersachsen (APVO-Lehr) angehängten Kompetenzen kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Anhand von sog. Kompetenz-Entwicklungsaufgaben (KEA), denen ein Fallbeispiel zu Grunde liegt, lassen sich konkrete Handlungen ableiten um explizit die Dimension des Könnens (siehe Bild) zu stärken. Zusätzlich geht es natürlich auch darum, sich zu positionieren und eine eigene Haltung zu unterschiedlichen Themen, Thesen oder Theorien zu entwickeln.

Die kostbare Seminarzeit im pädagogischen Seminar (alle 2 Wochen ca. 4 Stunden) nutze ich vor allem um die 4K in den Mittelpunkt zustellen: Kreativität, Kommunikation, Kollaboration und Kritisches Denken (lesenswerter Beitrag von Jöran Muuß-Merholz). Als Teil partizipativ vorgelebter Bildung (Lernen am Modell) werden von der Lernplattform Edmodo aus kreative Arbeits- und Diskussionsprozesse angeregt. Dabei soll vor allem das kommunikativ-kollaborative Arbeiten im Web 2.0 ("Mitmach-Web") im Mittelpunkt stehen und als Beispiel für die Umsetzung in die schulische Praxis dienen. Dieses Vorgehen eignet sich immer dann besonders, wenn ein direkter Bezug zur pädagogischen Praxis hergestellt werden kann. Bei einem Thema wie z.B. Schulrecht lassen sich nicht immer (zum Glück!) direkte Erfahrungen einbinden (Praxis: Schulrecht).

Die inhaltliche Ausgestaltung des Pädagogikseminars liegt grundsätzlich in der  Verantwortlichkeit aller Beteiligten. Bei der Umsetzung der verschiedenen Themen geht es wie gesagt weniger um das Referieren (fachlicher Input ist natürlich ausdrücklich erwünscht), als viel mehr um die Aktivierung aller Teilnehmer im Sinne eines Workshops.

 

Beispiel: Classroom-Management

In einer aktuellen Seminarveranstaltung ging es um das Thema Classroom-Management in Bezug auf den präventiven Umgang mit Unterrichtsstörungen. Neben einer begleitenden Präsentation (siehe unten!) wurden die Referendare gleich zu Beginn mit folgendem Fallbeispiel konfrontiert:

 

Frau Z. arbeitet an einer Realschule und ist Klassenlehrerin einer 6.Klasse. Obwohl sie die Kinder ständig in Gruppen sitzen lässt, gelingt es ihr zum wiederholten Male nicht, eine Gruppenarbeit zu ihrer Zufriedenheit durchzuführen. Einige Schüler wirken gelangweilt, andere sind dagegen unruhig und arbeiten nicht am Thema.

Wenn Frau Z. sich einer Gruppe zuwendet, nutzen vor allem Dirk und Kemal die Gelegenheit, um durch die Klasse zu laufen oder für unqualifizierte Zwischenrufe - zur Freude einiger Mitschüler.

Insgesamt ist Frau Z. zunehmend genervt von ihrer Klasse, weil sie nur noch mit erheblicher Lautstärke gegen die Geschwätzigkeit und Unaufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler ankommt. Sie gibt daher häufiger Strafarbeiten und hat auch schon Dirks und Kemals Eltern zum Gespräch bestellt, um weitere Maßnahmen anzukündigen, falls die Kinder ihr Verhalten nicht ändern.

 

Die Thematik setzt also direkt an erlebte Situationen aus der schulischen Praxis an. In einem ersten Lernschritt nutzten wir die Placemat-Methode von Oncoo.de um uns der Thematik in Gruppen zu nähern und erste Lösungsstrategien zu entwickeln. In der anschließenden Share-Phase konnte so ein intensiver Austausch zum Fallbeispiel stattfinden. 

 

Die Zuordnung erfolgt im Kompetenzbereich Erziehen: "Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst unterstützen die individuelle Entwicklung der Schülerinnen und Schüler und die Erziehungsprozesse in der jeweiligen Lerngruppe. Sie ergreifen Maßnahmen der pädagogischen Unterstützung und Prävention, die sich sowohl auf einzelne Schülerinnen und Schüler als auch auf die Lerngruppe beziehen." (APVO-Lehr Niedersachsen)

 

Lernschritte in der Arbeitsphase

In der Vorbereitung der Sitzung entschied ich mich dafür, den angehenden Lehrer*innen zwei Quellen für die inhaltliche Arbeit zur Verfügung stellen. Zum einen wählte ich den Blogbeitrag Einige Anmerkungen zum Classroom-Management von Bob Blume und den Artikel Umgang mit Unterrichtsstörungen von der Seite meinunterricht.de

In einer etwa 60-minütigen Arbeitsphase setzten sich die Teilnehmer mit den Quellen und dem Fallbeispiel in Gruppen handlungs- und produktionsorientiert auseinander, indem sie entweder einen Podcast (Interview mit Frau Z.) oder einen kurzen Ratgeber mit dem Book Crestor erstellten. Hier zwei Beispielseiten:

Für die Erstellung der Podcasts stellte ich das Material von Alicia Bankhofer zur Verfügung. Im Arbeitsprozess wurde allerdings deutlich, dass insbesondere für die Produktion eines Podcasts mehr Zeit eingeplant werden muss. Eine ähnliche Erfahrung also, die wir im Unterricht mit digitalen Medien auch oft machen. 

Für weitergehende Informationen teile ich die Präsentation (mit Literaturhinweisen) mit den Referendaren und natürlich auch mit euch:

Classroom Management

Fazit

Mit der Arbeit an Fallbeispielen bzw. Praxissituationen leistet die Lehrerausbildung einen wichtigen Anteil zum Aufbau von Handlungskompetenz und zur Fähigkeit zur Problemanalyse, die in unserem anspruchsvollen Beruf so wichtig ist. Referendare begreifen sich so zunehmend als Subjekt ihres eigenen Qualifizierungsprozesses. Letztlich geht es um die Auseinandersetzung mit dem eigenen beruflichen Selbstkonzept und die Findung einer neuen Rollenidentität: "Die  Metamorphose vom Schüler zum Lehrer" (Kasuistik in der Lehrerbildung  S.13).